Interview mit Mathias Rusch, Direktor des Geschäftsbereichs Marine bei SKF: „Nutzen aus der Datenflut ziehen“

Vor wenigen Wochen hat SKF auf der SMM, der internationalen Leitmesse der maritimen Wirtschaft, innovative Lösungen zum Messe-Motto „SMMart Shipping“ präsentiert. Im Gespräch erläutert Mathias Rusch, seit Anfang September Direktor des Geschäftsbereichs Marine bei SKF, was die Branche derzeit bewegt und welche künftigen Herausforderungen sich abzeichnen.

Mathias Rusch, Direktor des Geschäftsbereichs Marine bei SKF: „Die Digitalisierung erzeugt eine enorme Datenflut. Die richtigen Rückschlüsse daraus zu ziehen – das ist die Aufgabe!“
Herr Rusch, welche Themen und Probleme beschäftigen die Reeder und Schiffsbetreiber aktuell am meisten?

Mathias Rusch: Wir haben zwei große Trends: Zum einen die anhaltend niedrige Frachtraten, die die Einnahmeseite der Reeder seit einigen Jahren massiv belasten. Zum anderen wachsen die Anforderungen hinsichtlich der Emissionen in Luft und Wasser kontinuierlich. Um diese zu reduzieren, gibt es neue Vorschriften. Hier müssen die Schiffsbetreiber kostenintensive Nachrüstungen an ihren Flotten weltweit durchführen. Auf der einen Seite steigt also der Wettbewerbsdruck, auf der anderen haben die Betreiber höhere Kosten für den Betrieb ihrer Schiffe. Die Kardinalfrage ist: Wie lassen sich Betriebskosten senken? In diesem Zusammenhang beobachten wir seit einigen Jahren Konsolidierungen von Reedern und Schiffsbetreibern. Durch solche Zusammenschlüsse lassen sich zwar Kosten reduzieren, aber gleichzeitig wächst der Druck auf kleinere Schiffsbetreiber.

Mit dem auf der SMM eingeführten, wassergeschmierten Stevenrohrsystem Simplex BlueRun können die Schiffsbetreiber auf eine weitere umweltfreundliche Simplex-Lösung von SKF zurückgreifen. Zuverlässige Zustandsinformationen, die dem Anwender eine vorausschauende Planung des erforderlichen Austauschs von Lagerbuchsen ermöglichen, liefert das Simplex BlueRun-Verschleißmesssystem
Welche Lösungen hat SKF dafür im Portfolio?

Rusch: Die Betriebskosten zu minimieren, ist das Gebot der Stunde. Und genau da setzt SKF an. Im Betrieb einer Schiffsflotte geht es in erster Linie um Verfügbarkeit, Service, Ersatzteile und den richtigen Zeitpunkt für deren Austausch. Wir unterstützen unsere Kunden mit Flottenverträgen. Damit verbessern sie ihre Planungssicherheit hinsichtlich Kosten und Ersatzteilverfügbarkeit deutlich. Hinzu kommen unsere Lösungen für Zustandsüberwachung und zustandsabhängige Wartung. Dadurch senken wir die Betriebskosten unserer Kunden und das Ausfallrisiko der Komponenten und Maschinen. Zudem entwickeln wir ressourcenschonende Produkte wie Simplex BlueRun, EcoMode und Dynamic Stabilizer Cover. Damit wollen wir den Kraftstoffverbrauch der Schiffe senken und ihren Betrieb umweltfreundlicher gestalten. Das Überwachungssystem BlueMon informiert die Besatzung darüber, ob die Emissionen des Schiffs innerhalb der erlaubten Grenzwerte liegen oder ob sie reagieren muss. Das gibt der Besatzung auch Sicherheit bei Kontrollen. Denn das BlueMon-System trackt kontinuierlich Stand- und Zeitpunkt des Schiffs, welche Emissionswerte vorlagen und ob Gegenmaßnahmen bei Grenzwertüberschreitungen ergriffen wurden.

Die neue Software EcoMode von SKF optimiert den Einsatz von Flossenstabilisatoren und verbessert damit die Energiebilanz von Schiffen deutlich. Dazu trägt auch das Dynamic Stabilizer Cover (zum strömungstechnisch vorteilhaften Abdecken der Stabilisator-„Parkbucht“ im Schiffsrumpf) bei
Welche Anforderungen stellen die Kunden an Produkte von SKF?

Rusch: Unsere Produkte sind in der Regel betriebsrelevant: Ein Ausfall kann die Weiterfahrt einschränken oder sogar unmöglich machen. Deshalb erwarten die Kunden verlässliche Komponenten und Systeme sowie einen reibungslosen Service. Im Bedarfsfall sind wir schnell vor Ort und haben auch die Ersatzteile verfügbar – weltweit. Darüber hinaus erwarten die Kunden von uns Produktverbesserungen und Innovationen, die die Nutzung und Überwachung weiter vereinfachen. Digitalisierung ist hier ein ganz wichtiger Punkt. Wir müssen mit unseren zukunftsweisenden Lösungen den Betrieb des Schiffs unterstützen. Das wird immer komplexer.

Das Überwachungssystem BlueMon von SKF informiert die Besatzung darüber, ob die Emissionen des Schiffs innerhalb der örtlich erlaubten Grenzwerte liegen oder ob sie reagieren muss
Wie stark machen sich Digitalisierung und Cloud-Lösungen im Alltag auf einem Schiff bemerkbar und wie werden diese eingesetzt?

Rusch: Die Digitalisierung startet im Schiffsbetrieb gerade erst richtig durch. Kreuzfahrtbetreiber sind hier Vorreiter. Sie tauschen viele Betriebsparameter mit zentralen Leitständen aus. Ein Beispiel hierfür ist das Fleet Operation Center (FOC) der Costa-Gruppe. Das gibt es bereits seit 2015. Im FOC laufen die Daten verschiedener Schiffe zentral zusammen. Hier hat die Digitalisierung tatsächlich schon einen großen Schritt gemacht. Aber auch andere kommerzielle Eigner von der Containerschiffen, Tankern oder Stückgutfrachtern haben schon viel in Richtung Digitalisierung und Zustandsüberwachung unternommen. Bei den meisten steckt das Thema aber noch in den Kinderschuhen, obwohl es zahlreiche Vorteile bietet. Durch Zustandsüberwachungslösungen und Digitalisierung kann etwa die Restlebensdauer von Komponenten genauer bestimmt werden. Dies ermöglicht eine frühzeitige Serviceplanung und vermeidet Maschinenausfälle.

Der Trend zeigt bei der Digitalisierung in Richtung Cloudlösungen, die Schiffe und Onshore-Büros miteinander vernetzen und einen schnellen und einfachen Datenaustausch möglich machen. Dadurch muss die Crew an Bord nicht mehr alleine entscheiden, sondern kann Experten an Land zu Hilfe ziehen. Zudem werden schon heute Betriebsparameter von Schwesterschiffen verglichen, um etwa einen erhöhten Kraftstoffverbrauch festzustellen und Abhilfemaßnahmen festzulegen. Abhängig von den möglichen Datenübertragungsraten ist das heute bereits in Echtzeit machbar. Zudem können intelligente Systeme wie die EcoMode-Software der Crew helfen, die richtigen Entscheidungen auf Basis weitreichender und zeitgerechter Datenauswertung zu treffen.

Bei digitalen Zustandsüberwachungslösungen (etwa zur vorausschauenden Instandhaltung) geht der Trend in Richtung Cloudlösungen, die Schiffe und Onshore-Büros miteinander vernetzen. Dadurch muss die Crew an Bord nicht mehr alleine entscheiden, sondern kann Experten an Land zu Hilfe ziehen
Welche Herausforderungen stellen sich bei der (weiteren) Digitalisierung des Schiffsbetriebs und welche Trends zeichnen sich hier ab?

Rusch: Dank sinkender Kosten für Sensorik lassen sich heute enorm viele Betriebsparameter überwachen und große Datenmengen generieren, es entsteht eine wahre Datenflut. Die richtigen Rückschlüsse daraus zu ziehen – das ist die Aufgabe. Über einfache Dashboards geben wir zielgerichtet Hilfestellungen. Dafür ist es erforderlich, zu definieren, was man eigentlich zu welchem Nutzen wissen möchte, die Daten bereits an Bord aufzubereiten und anschließend an Land die Informationen entsprechend auszuwerten. Dafür ist viel mehr Kompetenz in den Gebieten Datenanalyse und Handlungsempfehlung erforderlich. Diese können die Kunden hausintern aufbauen oder auf spezialisierte Dienstleister zurückgreifen. Dadurch werden sich Jobprofile in der maritimen Industrie verändern. Zudem müssen die Internetverbindungen weiterhin stabiler werden. Neben den etablierten Anbietern drängen zudem Start-ups mit neuen, innovativen Ideen in den maritimen Markt. Zum Beispiel werden heute vermehrt Drohnen und unbemannte Fahrzeuge für Inspektionsaufgaben eingesetzt.

Wenn Sie einen Blick in die Kristallkugel werfen: Wie wird sich der Schiffsbetrieb in der Zukunft verändern?

Rusch: Die autonome Schifffahrt wird gerne genannt. Ich denke aber, ein völlig unbemanntes Schiff zu betreiben, ist noch Zukunftsmusik. Die Anzahl der fahrenden Crewmitglieder wird sich definitiv reduzieren, und es entstehen weltweit landbasierte Leitstände mit Expertenwissen. Denn für die Betreiber wird es heute immer schwieriger, geschultes Bordpersonal zu finden. Genau da kann aus meiner Sicht die Digitalisierung ansetzen. Der Schiffsbetrieb wird über Remote Control Technologies deutlich vereinfacht, unterstützt oder sogar übernommen. Die Digitalisierung wird enorm helfen, die Informationen von Bord vernünftig auszuwerten und Handlungsanweisungen zu geben. In den kommenden Jahren wird auch das Thema 3D-Druck von Ersatzteilen großen Einfluss gewinnen und vieles verändern. Einige Unternehmen prüfen bereits, wie sich mit diesem Verfahren Ersatzteile vor Ort herstellen lassen. Das ist ein hochinteressanter Trend, an dem wir dranbleiben müssen.

Wie kann man sich das vorstellen?

Rusch: Für den Druck werden je nach Ersatzteil unterschiedliche Rohmaterialien benötigt. Deshalb wird es weltweit zentrale Standorte für 3D-Druck geben. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, dass in einem Reparaturhafen wie Singapur 3D-Drucker stehen, die auf Anforderung Ersatzteile für bald einlaufende Schiffe herstellen. Alle Ersatzteilstrategien, die wir heute im Kopf haben, sind dann natürlich überholt. Wir merken bereits jetzt, dass Bewegung im Markt ist, und ich glaube, der 3D-Druck wird selbstverständlicher – vielleicht nicht innerhalb der nächsten fünf Jahre, aber doch in nicht allzu ferner Zukunft.

Mit welchen Entwicklungen von SKF kann man in den kommenden Jahren im Bereich Schifffahrt rechnen?

Rusch: Wichtig ist für uns der Blick auf die Gesamtsysteme, in denen unsere Produkte verbaut sind. Es geht nicht mehr darum, losgelöst die Optimierung einer Dichtung oder eines Lagers zu verfolgen. Wir helfen unseren Kunden mit individuellen Lösungen zur optimalen Integration. Dies bezieht sich neben den Gesamtkosten insbesondere auf die Wartung und Wartungsfreundlichkeit der Systeme. Hier können wir als SKF unser Know-how bei Lagern, Dichtungen und Schmiersystemen ausspielen. Wir arbeiten zudem an weiterentwickelten Komponenten für die Zustandsüberwachung, um den Bordbetrieb und die Überwachung der Systeme zu erleichtern und die Crew zu unterstützen. Außerdem streben wir weitere Produktentwicklungen an, die den Kunden helfen, die Umweltschutz-Anforderungen der Zukunft zu erfüllen. Auf der SMM haben wir ja schon einiges vorgestellt. Im Geschäftsbereich Marine unterstützen wir zudem erfolgreich die aktuellen Entwicklungen bei Tidenturbinen, die zur Gewinnung von Gezeitenstrom eingesetzt werden. Dieser Markt befindet sich noch im Aufbau.

Dann darf man gespannt sein; einstweilen vielen Dank für das Gespräch!